von Dr. Ludwig Christmann
Am Samstag 18. Juni veranstaltet der Pferdezuchtverein Verden wiederum die beliebte Fohlenrundfahrt, bei der auf mehreren Standorten im Landkreis Verden der aktuelle Fohlenjahrgang begutachtet wird. Der letzte Termin wird um ca. 18.00 Uhr auf dem Hof Clasen in Hiddestorf sein. Im Anschluss an die Fohlenpräsentation wird es dort eine kleine Feierstunde aus Anlass des mehr als 100-jährigen Bestehens des Pferdezuchtvereins Verden geben. Grund genug für einen Rückblick auf die Geschichte des Pferdezuchtvereins.
Die Jahre 2021 und 2022 sind wahre Jubiläumsjahre für viele Organisationen aus Pferdezucht und Pferdesport in Niedersachsen. Der Hannoveraner Verband wird in diesem Jahr 100 Jahre alt, ebenso der Reitverein Graf-von-Schmettow, die 1922 gegründet wurden. Ein Jahr zuvor wurden die Pferdezuchtvereine Achim und Verden aus der Taufe gehoben. Was die Hannoveraner Zucht angeht heißt das allerdings nicht, dass dies der Anfang war. Nein, die Hannoveraner Zucht war zu dieser Zeit schon in voller Blüte. Der Grundstein wurde gelegt mit der Gründung des Landgestütes Celle im Jahre 1735 durch König Georg II von England. 1888 wurde das Hannoveraner Stutbuch begründet, was einher ging mit einer Bewertung aller Stuten, die neu in die Zucht genommen wurden und es wurden genaue Pedigreeaufzeichnungen darüber geführt.
Die Wiege des Hannoveraners
Dass das Gebiet um die Kreisstadt Verden schon in den 1920/30er Jahren einen hervorragenden Ruf als Hochburg der Pferdezucht genoss zeigt das folgende Zitat des Hippologen Gustav Rau, der sich große Dienste um die Organisation von Pferdezucht und Pferdesport in jener Zeit erwarb, in der land- und forstwirtschaftlichen Zeitung Hannovers: “Die Verdener Gegend muss ein deutsches Irland werden. Ist sie doch wie Irland, die grüne Insel, geeignet, auf ihren prachtvollen großen Weiden ein edles, starkes Blutpferd zu züchten, das als hervorragendes Reitpferd für alle Zwecke dienen kann. Mit ihrem Reichtum an bestem, edlem Blut, mit ihren guten Aufzuchtverhältnissen vermag es die Verdener Gegend, jede Art hochklassiges Halbblutpferd zu züchten, das Jagdpferd, das Springpferd für die Turnierkonkurrenzen, bis zum edelsten Halbblüter, der Rennen zu laufen vermag.” Und in dem 1949 erschienenen Buch „Hannovers edles Warmblut“ schreibt Hans-Joachim Köhler, der geniale Gründer der Verdener Auktionen und Vordenker der Zucht: „Hier im Verdener Gebiet – vornehmlich im Bezirk der Deckstationen Stedebergen, Oiste und Otersen – liegt die eigentliche Wiege des hannoverschen Pferdes.”
Wie es zur Gründung der Pferdezuchtvereine kam beschreibt ein Rundschreiben des landwirtschaftlichen Hauptvereins für den Regierungsbezirk Stade vom 3. März 1921: „Nach verschiedenen eingehenden Beratungen der Pferdezucht Kommissionen wie Deputierten-Versammlung ist beschlossen, die Organisation der Pferdezüchter zu Kreis/Pferdezuchtvereinen und den Zusammenschluss dieser zu einem Bezirks-Pferdezuchtverein zu befürworten. Nur so ist es möglich, den Züchtern selbst den berechtigten Einfluss auf die schwerwiegendsten Zuchtmaßnahmen – Mitwirkung beim Ankauf und bei der Auswahl der Hengste, Hengstaufzucht, Füllenmärkte, Stutbuchaufnahmen und Stutenschauen u.a.m. – zu sichern.”
Der Pferdezuchtverein Verden war bereits vor dieser Veröffentlichung gegründet worden. Am 25. Januar 1921 trafen sich Züchter aus den Kreisen Verden und Hoya in Bruers Hotel (Verden) und gründeten die „Pferdezüchtervereinigung Verden – Hoya und Umgebung e.V.“. Ad hoc schrieben sich 64 Züchter aus dem Kreis Verden und 21 aus Hoya als Mitglieder ein. Zum Vorsitzenden wurde Gutsbesitzer Dr. Hesse aus Verden gewählt. Bereits bei dieser Gründungsversammlung wurde eine wichtige Vermarktungsaktion beschlossen und zwar die Durchführung einer Fohlenauktion. Diese wurde am 19. August 1921 auf dem Johanneswall in Verden durchgeführt. 132 Fohlen, die von Celler Landbeschälern abstammten, waren im Angebot. Preisspitze war ein Hengstfohlen von Flirt aus der Zucht von H. Meyer aus Wulmstorf, das für 17000 Reichsmark versteigert wurde.
Rund drei Jahre später trennten sich die Züchter aus dem Kreis Hoya von dem Verein, der umbenannt wurde in Pferdezuchtverein Verden, den Namen, den er heute noch trägt.
Verlängerter Arm
An den Aufgaben eines Pferdezuchtvereines, die in dem Rundschreiben genannt wurden, hat sich nichts verändert. Ein Pferdezuchtverein ist quasi der verlängerte Arm des Zentralverbandes Hannoveraner Verband und organisiert die Veranstaltungen vor Ort, wie Fohlenschauen, Stutenschauen, Stutbuchaufnahmen und so weiter. Dass sich Vereine auch frühzeitig schon um die Vermarktung kümmerten geht aus den obenstehenden Ausführungen hervor. Zusätzlich waren die Pferdezuchtvereine wichtige Ansprechpartner für die Deckstellen des Landgestütes Celle, die es im Zuständigkeitsbereich des Pferdezuchtvereins Verden seit der Landgestütsgründung in den Ortschaften Otersen, Stedebergen (mittlerweile verlegt nach Verden), Oiste, Morsum, Dauelsen gab. Davon hat nur die Besamungsstation in Verden „überlebt“. Für die Bediensteten des Landgestütes sind die Deckstellen während der fünf Monate dauernde Decksaison ihr zweites Zuhause. Da ist es gut, wenn die Vereine sich um das leibliche Wohl mitkümmern.
Die Führung des Pferdezuchtvereins Verden war von großer Kontinuität geprägt. Lediglich sieben Vorsitzende standen dem Verein während der vergangenen 100 Jahre vor. In den Jahren 1941 bis 1946 ruhte die Vereinsarbeit aufgrund des Zweiten Weltkrieges.
Die Vorsitzenden des Pferdezuchtvereins Verden:
1921 – 1925 Dr. Hesse, Verden
1925 – 1929 Hermann Clasen, Wahnebergen
1929 – 1941 Willy Glander Verden
1946 – 1954 Willy Glander, Verden
1954 – 1972 Friedrich Lührs, Borstel
1972 – 2003 Friedrich Lührs-Behnke, Borstel
Seit 2003 Jörg Clasen, Hiddestorf
Internationale Spitzenpferde
Die Aussagen von Gustav Rau und Hans-Joachim Köhler wecken natürlich hohe Erwartungen hinsichtlich der Qualität der im Raum Verden gezüchteten Pferde. Aber selbst höchsten Erwartungen sind die Hannoveraner Züchter diesbezüglich gerecht geworden. Bei Züchtern des Pferdezuchtvereins wurden u.a. Hengste geboren wie Bolero (geb. 1975, Züchter Heinrich Behrmann, Stedebergen), Argentan (geb. 1967, Züchter Jürgen Clasen, Hiddestorf) und Don Carlos (Züchter Ernst Clüver, Völkersen) die die Hannoveranerzucht und andere Zuchten maßgeblich beeinflusst haben. In allen drei olympischen Disziplinen wurden Sportpferde gezüchtet, die zu den besten der Welt zählten. Beispiele dafür sind Walk on Top (Weltcupsieger 1998 mit Louise Nathhorst, Schweden, Züchter Heinrich Engelke, Wahnebergen), Warum Nicht FRH (Weltcupsieger 2007 mit Isabell Werth, Züchter Hinrich Luessen, Bendingborstel) , Potomac (Mannschaftsbronze Europameisterschaften 2009 mit Susanne Lebeck, Züchter Friedrich Lührs-Behnke, Verden-Borstel) in der Dressur, Gladstone (Weltcupsieger 1979 mit Hugo Simon, Werner Brüns, Hilgermissen) und zuletzt Baloutinue (Mannschaftssilber Olympische Spiele 2021 mit Laura Kraut, USA, Züchter Heinrich Meyer, Langwedel) im Springen oder Shamrock (Mannschaftsgold Olympische Spiele 1988 mit Matthias Baumann, Züchter Magda und Heinrich Clüver, Völkersen) in der Vielseitigkeit. Ebenfalls zu erwähnen sind Erfolge Verdener Züchter bei Bundeschampionaten und überregionalen Stutenschauen, als Aussteller oder Züchter hochbezahlter Fohlen, Reitpferde oder Hengste auf den Verdener Auktionen oder auch als Züchter von Halbblutrennpferden, eine Spezialität der Hannoveranerzucht im Raum Verden, die vor hundert Jahren sehr populär war.
Seit 2007 vergibt der Pferdezuchtverein Verden die Auszeichnung „Züchter des Jahres“. Hier finden sich viele Züchtergrößen, die die Hannoveranerzucht im Landkreis Verden und darüber hinaus geprägt haben:
2007 Johann Winkelmann, Lehringen, und Jürgen Clasen, Hiddestorf
2008 Fritz Badenhoop- Clausen, Neddenaverbergen, und Fiedrich Lührs-Behnke, Verden-Borstel
2009 Heinrich Clüver, Völkersen
2010 Reinhard Reents, Brammer
2011 Benedikte Meyer (Boudler, Luxemburg) und Reinhard Baumgart, Döhlbergen
2012 Rudolf Düstersiek, Vlotho/Exter
2013 Hermann Heimsoth, Wahnebergen
2014 Gretus Buss, Klein Hutbergen
2015 Hinrich Engelke, Wahnebergen, und Sabine u. Werner Schneider, Hilgermissen
2016 Gudrun und Heinrich Luttmann, Klein Heins und Hans Clasen, Neddenaverbergen
2017 Rainer Röpke, Neddenaverbergen
2018 Hartmut Kettelhodt, Weitzmühlen (?)
2019 Dirk Radeke, Walle
2020 Heinrich Behrmann, Stedebergen
2021 Heinrich Heemke, Kreepen